Anwenderschutz bei Pflanzenschutzarbeiten - Jeder Tropfen ist zu viel
23.10.2025
Interview mit Frank Gutheil, Bereichsleiter Prävention der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), zu Präventionsmaßnahmen im Anwenderschutz zur Verhinderung der Berufskrankheit „Parkinson durch chemische Pflanzenschutzmittel“
Die Anerkennung des Parkinson-Syndroms durch chemische Pflanzenschutzmittel als neue Berufskrankheit schärft den Blick auf das, was im Arbeitsalltag den entscheidenden Unterschied macht: Konsequenter Anwenderschutz für den Sachkundigen – geplant, unterwiesen, kontrolliert und gelebt.
Die SVLFG arbeitet daran seit Jahren systematisch nach dem S.T.O.P.-Prinzip mit klaren technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen, die unmittelbar in Betrieben umsetzbar sind.
Wie unterstützt der Präventionsbereich der SVLFG die Betriebe beim sicheren Umgang mit Pflanzenschutzmitteln?
Über 360 Aufsichtspersonen der Prävention sind bundesweit im Einsatz, welche vor Ort in den Betrieben auch zum sicheren Umgang mit Pflanzenschutzmitteln beraten und Verbesserungspotenziale bei der Arbeitssicherheit aufzeigen.
Unabhängig von Besichtigungsterminen sind die Unternehmerinnen und Unternehmer aber natürlich auch jederzeit dazu eingeladen, bei konkreten Fragen Kontakt zur Prävention aufzunehmen. So kann im Dialog die bestmögliche Lösung für den Betrieb gefunden oder Unklarheiten ausgeräumt werden. Neben der persönlichen Betreuung gibt es ein allgemeines Informationsangebot zum sicheren Umgang mit Pflanzenschutzmitteln in Form von Artikeln und kurzen Filmen. Dieses Angebot ist über unserer Internetseite abrufbar.
Wie funktioniert die Umsetzung des S.T.O.P.-Prinzips bei Arbeiten mit Pflanzenschutzmitteln konkret?
S.T.O.P. ist eine Abkürzung für Substitution, technische Maßnahmen, organisatorische Maßnahmen und persönliche Maßnahmen. Durch das Prinzip werden die Maßnahmen des Arbeitsschutzes nach ihrer Wirksamkeit hierarchisch geordnet. Unternehmen sollen vorrangig Maßnahmen der oberen Hierarchieebenen ergreifen, also Substitution und technische. Nur wenn sich hier keine Lösung finden lässt, sollte auf die Maßnahmen der unteren Ebenen – vor allem persönliche – zurückgegriffen werden.
Was ist unter Substitution im Zusammenhang mit Pflanzenschutzarbeiten zu verstehen?
Substitution ist ein Begriff aus dem Gefahrstoffrecht und meint den Ersatz eines gefährlichen Stoffes durch einen weniger gefährlichen Stoff oder ein alternatives Verfahren, welches ohne Gefahrstoffe auskommt. Vielen Unternehmerinnen und Unternehmern wird dieser Ansatz unter dem Begriff „integrierter Pflanzenschutz“ geläufig sein. Darunter fallen zum Beispiel Maßnahmen wie mechanische oder biologische Schädlingsbekämpfung, aber auch entsprechende Bodenvorbereitungen, Klima, Düngung und Sortenwahl. Der Gedanke dahinter ist einfach: Je weniger Kontakt zu chemischen Pflanzenschutzmitteln besteht, desto geringer auch die Gefahr zu erkranken.
Welche technischen Maßnahmen gelten als entscheidende Hebel zur Expositionsminderung beim Ausbringen, Befüllen und Reinigen?
Ziel technischer Schutzmaßnahmen ist es, die Anwenderinnen und Anwender von der Gefahrenquelle – hier dem Pflanzenschutzmittel – zu trennen. Als besonders wirksame Schutzeinrichtungen beim Ausbringen haben sich Schutzkabinen mit Filter und Klimatechnik erwiesen. Für das Befüllen der Spritze und Reinigen von leeren Gebinden empfehlen sich geschlossene Befüllsysteme, sogenannte CTS.
Da es CTS derzeit fast nur als Nachrüstlösung gibt, seien an dieser Stelle auch Einspülschleusen erwähnt, die mittlerweile zur Standardausrüstung moderner Pflanzenschutzspritzen zählen. Diese erlauben es, geübten Anwenderinnen und Anwendern, die Spritze kontaminationsfrei mit flüssigen Mitteln zu befüllen.
Welche Kabinenkategorien empfiehlt die SVLFG für verschiedene Einsatzprofile? Wie fließt die KabExpo-Studie in die Beratung ein?
Für Familienbetriebe, die klassischen Ackerbau betreiben, bieten Traktor-Kabinen der Kategorie 2 in der Regel ausreichend Schutz. Für Betriebe mit einer sehr großen zu bewirtschafteten Fläche, für Unternehmen, die im Lohn spritzen, und für den Einsatz in Raumkulturen wie Wein-, Hopfen- und Obstbau empfiehlt es sich, Maschinen mit Kabinen der Kategorie 4 einzusetzen.
Die KapExpo-Studie zur Anwenderexposition innerhalb geschlossener Traktorkabinen bei Pflanzenschutzarbeiten, die in Zusammenarbeit mit dem Julius-Kühn-Institut sowie dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erstellt wurde, zeigt, dass bei geschlossenen Schutzkabinen kaum noch ein Eintrag von Pflanzenschutzmitteln in die Fahrerkabine über das Lüftungssystem stattfindet.
Die größte gemessene Kontamination der Kabine kam durch Verschleppung durch den Fahrer zustande. In unseren Beratungen wollen wir dafür Bewusstsein schaffen, dass bei notwendigen Reparaturen während des Ausbringens konsequent persönliche Körperschutzmittel angezogen werden und diese auch wieder abgelegt werden, bevor die Fahrerkabine betreten wird.
Welche organisatorischen Mindestmaßnahmen sollen Betriebe umsetzen, um Exposition zu vermeiden?
Betriebe sollten nur fachkundige und verlässliche Mitarbeitende mit Pflanzenschutzarbeiten als Sachkundige schulen lassen und beauftragen, die auch alle notwendigen Schutzmaßnahmen gewissenhaft und richtig um- und einsetzen.
Mitarbeitende sollten regelmäßig zum Thema Pflanzenschutz fortgebildet werden, um über einen aktuellen und umfassenden Kenntnisstand zum Thema zu verfügen. Sind im Nachgang zum Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln Arbeiten in Kulturen nötig, sollten diese mit einem ausreichenden Zeitabstand geplant werden, sodass das ausgebrachte Mittel zumindest vollständig eintrocknen kann.
Was bedeutet Differenzierung des PSA-Einsatzes nach Tätigkeit?
PSA für Pflanzenschutzmittel ist in unterschiedlichen Schutzstufen erhältlich. Bei Handschuhen sind diese G2, G1 und GR, bei Kleidung C3, C2 und C1. Je höher die Ziffer, desto höher ist auch die Schutzwirkung. Kleidung der Stufen C1 und C2 hat den Charakter von Arbeitskleidung.
Hierbei handelt es sich um „normale“ Textilien, die eine gewisse flüssig-keitsabweisende Wirkung haben. Wir empfehlen Kleidung der Stufen C1 und C2 grundsätzlich immer bei Arbeiten mit Pflanzenschutzmitteln als Arbeitskleidung zu tragen, über die dann bei Bedarf weitere Schutzkleidung gezogen wird. C1- und C2-Kleidung ist auch für Nachfolgearbeiten in der trockenen Kultur geeignet. Wird mit konzentrierten Pflanzenschutzmitteln gearbeitet oder besteht Kontaktgefahr mit dem noch nicht eingetrockneten verdünnten Mittel, zum Beispiel beim Ausbringen mittels Rückenspritze oder bei Reparaturarbeiten an der Spritze während des Einsatzes, muss immer Kleidung der Stufe C3 getragen werden. Dies können Ganzkörperanzüge oder auch Ärmelschürzen sein. Beim Anmischen und bei Reparaturarbeiten bieten Ärmelschürzen in der Regel ausreichend Schutz. G2 Handschuhe sind für den Umgang mit dem Konzentrat ausgelegt, G1 für die Handhabung der verdünnten Pflanzenschutzmittel. GR-Handschuhe haben nur eine Beschichtung an der Handinnenseite und bilden damit einen Kompromiss zwischen Schutzwirkung und Tragekomfort. Diese Handschuhe sind für Nachfolgearbeiten in der trockenen Kultur geeignet.
Welchen praxisnahen Tipp geben Sie als Experte den Anwendenden mit?
Das Unfallgeschehen in der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft zeigt, dass oftmals eine Mischung aus Zeitdruck und Routine für die Unfälle verantwortlich ist. Dies gilt allgemein und nicht nur für Arbeiten beim Pflanzenschutz.
Eine gute Planung – auch zeitlich –, das Lesen der Gebrauchsanweisung der Pflanzenschutzmittel und die Vorbereitung der Arbeiten unter Berücksichtigung der zuvor genannten Maßnahmen zum Anwenderschutz sind entscheidend für sicheres und kontaminationsfreies Arbeiten. Diese gewissenhafte Vorbereitung muss immer erfolgen. Auch sollte schon für vorhersehbare Defekte, zum Beispiel eine verstopfte Düse, vorausgeplant werden, damit allen Beteiligten klar ist, welche Arbeitsschritte und Schutzmaßnahmen in diesen Fällen ergriffen werden müssen. So können solche Störungen zügig, ruhig und vor allem sicher beseitigt werden.
Welche Informationsangebote stehen bereit? Wo finden Mitglieder kompakte Orientierung zu den Maßnahmen?
Ein Großteil ist auf der Internetseite www.svlfg.de/pflanzenschutzarbeiten kompakt zusammengefasst. Hier sind auch die kurzen Videos zum Thema verlinkt. Darüber hinaus möchte ich auf die online verfügbaren Informationen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hinweisen. Zum Thema Anwenderschutz bei Pflanzenschutzarbeiten steht der Präventionsbereich der SVLFG mit dem Bundesamt im steten Austausch.
Sechs animierte Filme auf Ihrem YouTube Kanal illustrieren die sichere und gesunde Arbeit im Umgang Pflanzenschutzmitteln. Wie nutzen Betriebe dieses Angebot?
Die animierten Filme bieten den Betrieben eine praxisnahe Möglichkeit, das Thema „Sicherer und gesunder Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“ anschaulich in ihre regelmäßigen Unterweisungen zu integrieren. Sie unterstützen die Betriebsleiter dabei, komplexe Inhalte einfach und verständlich zu vermitteln.
Dass dieses Angebot gut angenommen wird, zeigt die erfreuliche Resonanz: Bis September dieses Jahres wurden die Filme bereits rund 13.000 Mal aufgerufen. Über unseren YouTube-Kanal können die Betriebe jederzeit unkompliziert auf die Inhalte zugreifen: youtube.com/@svlfg3082, Playlist „Sicherer Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“
Welche Aufgaben und Ressourcen hat die eigens eingerichtete Task Force zur Ermittlung der Voraussetzungen in den zahlreichen Verdachtsfällen der Berufskrankheit „Parkinson durch chemische Pflanzenschutzmittel“?
Die Task Force analysiert zunächst die vom Versicherten angegebenen Tätigkeiten und Arbeitsplätze. Dabei wird insbesondere untersucht, ob die genannten Pflanzenschutzmittel für die angegebenen Kulturen und Einsatzzeiträume plausibel und mit der damaligen Praxis vereinbar sind.
Auf dieser Grundlage wird bewertet, inwieweit der konkrete Arbeitsplatz und die ausgeübten Tätigkeiten einen ursächlichen Beitrag zur Erkrankung geleistet haben.