"Alles SVLFG" 4/2025
Das Mitgliedermagazin - von uns für Sie!
In dieser Ausgabe können Sie unseren Beitrag "AMS - Sicherheit mit gutem Beispiel voran", neues Prämiensystem Prävention, zum Führungswechsel in der SVLFG und vieles mehr lesen.
Sicherheit
Leben
Wie und warum pflegen Menschen auf landwirtschaftlichen Betrieben? Frau PD Dr. Christine Niens über die Ergebnisse einer Studie der Universität Göttingen, die sich genau diese Frage stellte.
Frau Dr. Niens, was war das Ziel der Studie zur häuslichen Pflege in der Landwirtschaft?
"Ziel war es offenzulegen, wie Pflegepersonen auf landwirtschaftlichen Betrieben die Pflege Angehöriger wahrnehmen und bearbeiten. In der Landwirtschaft gelten milieuspezifische Besonderheiten, Generationenkonflikte, familiale Solidarität und teilweise immer noch uneingeschränkte Pflegeklauseln."
Gab es eine Gemeinsamkeit?
"Alle Interviews zeigten, dass familiale Konstellationen stark beeinflussen, wie Menschen mit Belastungen und dem Thema Pflege umgehen. Machtunterschiede drängen Frauen in bestimmte Rollen, aus denen sie sich nur schwer befreien können. Zudem sind die eigenen Erfahrungen und Zukunftsvorstellungen ausschlaggebend."
Wie hoch ist die Belastung?
"Pauschal kann das nicht beantwortet werden. Pflegende unterscheiden sich, sei es durch die Dauer der Tätigkeit oder ihre Haltung dazu. Pflege kann bereichern, wenn eine enge Bindung zum Pflegebedürftigen besteht. Unter den Interviewten war eine Frau, die seit fast dreißig Jahren Mutter und Schwiegermutter pflegt. Sie sieht das als Ersatzberuf, hat eine semiprofessionelle Einstellung entwickelt und nun viel Erfahrung. Aber nicht jeder, der angibt, unbelastet zu sein, ist das auch. Eine andere Frau hat das Interview nur heimlich geführt. Mir konnte sie die starke Belastung eingestehen, der Familie gegenüber nicht. Diese Frau hing mir noch eine Weile nach."
Wo finden Pflegende Unterstützung?
"Es gibt viele Beratungsangebote. Die Trainings- und Erholungswoche für pflegende Angehörige der SVLFG wurde sehr positiv bewertet. Kontakte zu knüpfen, Praxistipps auszutauschen und zu erfahren, dass Pflege auch anderen schwerfällt, hilft sehr."
Was ist die größte Herausforderung?
"Es ist in der Landwirtschaft ein Tabu, sich über die Pflegesituation zu beschweren. Man möchte niemanden im Stich lassen, und viele Personen in der Landwirtschaft haben einen hohen Selbstanspruch, wollen dem Bild der guten Bäuerin entsprechen: „Mama und Oma haben es auch geschafft“. Das muss sich ändern."
Warum greifen pflegende Angehörige nicht verstärkt auf Pflegedienste zurück, um sich die Arbeit zu erleichtern?
"Ambulante Pflegekräfte im ländlichen Raum sind schwer verfügbar. Deren Unterstützung wird auch nicht immer nur als Entlastung empfunden. Ich habe mit Frauen gesprochen, die einen Pflegedienst hatten und zum Teil selbst wieder abbestellt haben. Das sich ständig ändernde Personal, man versteht sich nicht mit jedem, die Frage der Privatsphäre in der eigenen Wohnung… das sind Hemmnisse. Auch die zeitliche Gebundenheit ist ein Punkt. Man möchte vielleicht nicht morgens um 06:00 Uhr aufstehen oder die Pflegebedürftigen möchten nicht bereits um 17:00 Uhr ins Bett gebracht werden."
Nach welchen Personengruppen haben Sie für die Interviews genau gesucht?
"Gesucht waren Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben, die dort leben und arbeiten, die Angehörige im häuslichen Umfeld seit mindestens sechs Monaten pflegen, und Frauen, die entgegen des Wunsches der Familie oder eventuell bestehender Vereinbarungen im Hofübergabevertrag die Pflege der Altenteiler nicht übernommen oder nach kurzer Zeit wieder abgegeben haben. Gleichermaßen waren Frauen dabei, die sich die Pflege der Alternteiler mit ihrem (Ehe-)Partner aufteilen oder regelmäßig bei der Pflege durch ihren Partner unterstützt werden."
Warum waren die meisten Interviewpartner Frauen?
"Ursprünglich lag der Fokus auf Frauen, weil sie die Hauptaufgaben in der Pflege übernehmen. Die Männer wollten wir nicht ausschließen, aber pflegende Männer gibt es tatsächlich nicht so häufig."
Warum war das Forschungsthema für Sie persönlich von Interesse?
"Als Kind verbrachte ich viel Zeit bei meinen Großeltern und meiner Großtante auf dem Land und auf landwirtschaftlichen Betrieben, bin selbst im ländlichen Raum aufgewachsen. Außerdem habe ich lange im Agrarbereich gearbeitet. Gerade mit wissenschaftlichem Hintergrund fragt man sich außerdem automatisch: Wo gibt es relevante Forschungslücken? Das war bei der Pflegesituation auf landwirtschaftlichen Betrieben der Fall. Angesichts des demographischen Wandels ist die pflegerische Versorgung ebenfalls sehr interessant. Wir werden immer älter, es gibt nicht genug Pflegekräfte oder genug Geld. Das gilt insbesondere für die Versorgung ländlicher Strukturen."
Welche zentralen Fragestellungen standen im Fokus?
"Die zentralen Fragen waren:
- Wie kommt es dazu, dass einige Frauen die Pflegeaufgabe als sehr belastend empfinden, während andere von einer bereichernden Tätigkeit sprechen?
- Gibt es biographische Konstellationen, die dazu führen, dass pflegebedingte Belastungen nur indirekt geäußert werden oder begünstigen bestimmte Biographien eine besonders hohe Toleranz gegenüber pflegebedingten Belastungen?
- Unter welchen Bedingungen wirken Männer an der Pflege mit oder übernehmen diese hauptverantwortlich?"
In welchem Zeitraum wurde die Studie durchgeführt?
"Die Studie „Belastungen pflegender Landwirtinnen – eine rekonstruktive Analyse im biographischen Kontext“ der Universität Göttingen dauerte drei Jahre. Begonnen wurde am 16.05.2022, das Projekt endete am 15.05.2025. In diesem Zeitraum führten wir die Interviews, transkribierten sie und werteten sie aus. Die Auswertung eines Interviews nimmt ca. drei bis vier Monate in Anspruch. Dies erklärt auch, warum wir nur mit einer begrenzten Anzahl Pflegender sprechen konnten.
Inzwischen liegt ein Abschlussbericht vor, für Anfang 2026 ist auch ein kostenloses eBook geplant. Hier werden wir die Fälle und die Ergebnisse bereitstellen.
Die Studie wurde übrigens von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert."
Die Ergebnisse folgen bald im kostenlosen eBook, der Abschlussbericht "Belastungen pflegender Landwirtinnen - Eine rekonstruktive Analyse im biographischen Kontext" ist schon online.
Sie können diesen unter folgenden Link aufrufen:
360 Grad
Die SVLFG hat im Geschäftsjahr 2024 rund 7,91 Milliarden Euro für die Betreuung ihrer Versicherten und die Leistungen in den Versicherungszweigen Alterssicherung der Landwirte (einschließlich Soziale Maßnahmen zur Strukturverbesserung) sowie Landwirtschaftliche Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung aufgewendet. Hierbei betrug der Anteil der Verwaltungskosten 5,17 Prozent der Gesamtaufwendungen.
Näheres lesen Sie hier: